Taten des Lichts
Objekt – Malerei – Skulptur
„Die Farben sind Taten des Lichts“, hat Goethe behauptet, „Taten und Leiden.“ Mehr Farbe ist kaum vorstellbar als im Zusammenspiel dreier Künstlerpersönlichkeiten im Kunstraum Villa Friede. Denn Licht genug bieten diese Räume den „Tätern“, welche Farb- und Lichtkünstler sind. Bei Dieter Balzer vereinen sich Farbfolien zu einem skulpturalen Objekt an der Wand oder im Raum. Bei Nicholas Bodde reiht sich Farbe an Farbe zu einem abstrakten Streifenbild. Ganz reduzierte Farben hingegen, oft nur eine, inszeniert Annette Sauermann mit ihren ausgeklügelten Lichtfallen. All diese Farben werden sich in ihren jeweiligen künstlerisch konstruierten Systemen wirkmächtig entfalten. Jeder Besucher wird Schauspiele erleben, die über die physikalische Wahrnehmung des Auges hinausweisen: wie Farben interagieren, wie sie miteinander auskommen und spielen, tanzen, kämpfen, sich verstärken. Auch wie sie klingen und den Menschen aufs Tiefste stimulieren.
Dieter Balzer hat sich nie als Maler gesehen. Vielmehr hat er sich der konstruktiven Kunst verschrieben. Folgerichtig spricht er nicht von Bildern und Skulpturen, sondern benennt seine Werke mit technischen Begriffen wie Konstruktionen oder Architekturen. Zentrale Formprinzipien von Balzers komplexen, oft geschichteten rahmenartigen Modulen sind die Freude an der Variation und die unerwartete Farbsetzung im linearen Nebeneinander. Buntheit ist für Balzer eine Qualität, die sich daraus ergebende Rhythmik ebenso stilbildend. Mit seiner Welt der verbauten Farben steht der Künstler einzig da. Mehr als 30 Jahre lang ist er seinem strengen geometrischen System treu geblieben. Erst durch die Einsamkeit und die damit einhergehende Konzentration im coronabedingten Lockdown des Jahres 2020 ist er von diesem starren Kurs etwas abgewichen. Er hat seine Methodik aufgeweicht, seine Arbeit durch Hinzufügen neuer Stilmittel erweitert und ergänzt. Tatsächlich entstand in der Isolation das Bedürfnis, ein neues Zentrum zu ergründen. An die Stelle von Zersplitterung und überbordenden Farben treten hermetische Einheiten und Regelmäßigkeit. Seine jüngeren Arbeiten, die „Units“ oder „Popups“ heißen, legen den vergebenen Raum binär an, mit nur zwei unterschiedlichen Farbflächen. Erstmals erscheinen organische Formen. Balzers neue Objekte haben gerundete Ecken – keine Rundbögen – statt des strengen rechten Winkels. Gibt es einerseits die singulären Varianten in Form der „Units“, so fügen sie sich additiv andererseits zu größeren komplexeren Einheiten wie den „Popups“ zusammen. Der Künstler hat Auflösungstendenzen durchlebt, die als solche sein Werk künftig durchaus positiv beeinflussen und fortschreiben. Ein Meter im Quadrat misst eine typische sechsfarbige Arbeit; sieben Zentimeter ragt sie in den Raum hinein. Tatsächlich ist sie auffallend bunt, geradezu extrovertiert, oben und unten mit zwei Streifenfriesen versehen in Gelb-Blau beziehungsweise Türkis-Bordeaux. Dazwischen schmiegen sich freie Farbflächen aneinander, die eine rot, die andere überraschend violett.
Gab es ganz am Anfang bei Balzer noch Skizzen auf Papier, so findet die Vorarbeit heute ausschließlich am Rechner statt. Es geht ihm schon zu Beginn des eigentlichen kreativen Akts um Struktur, Statik, Architektur. Die reinen Farben kommen von der Rolle. Nicht mehr als etwa 30 verschiedene verwendet er. Folien lassen sich schließlich nicht mischen. Millimetergenau wird die Farbigkeit mithilfe eines Farbzeichenprogramms geplant. Die lichtechten Folien bringt Balzer auf einen Träger auf, der ihm bestmöglich als Gerüst für seine dreidimensionalen Arbeiten dient. MDF heißen die mitteldichten Faserplatten, deren technische Festigkeit niemand später mehr erahnt angesichts der Leichtigkeit des fertigen Werks. Die Folie hat am Ende die Hartplatte überzogen wie eine Haut: ein Zusammenwirken, das Plastizität provoziert. Eine leichte Schattenfuge stellt sich zudem ein, die von über den Rand reichenden folienbezogenen Stäben erzeugt wird. Balzers Kunst versieht mit ihrer kalkulierten Reihung und Schichtung, mit Konstruktion und Dekonstruktion, mit ihrer Kantigkeit und den hinzugewonnenen Rundungen Räume, Wände und Orte mit Bedeutung. Wo ein „Balzer“ hängt oder steht, ereignen sich famose ästhetische Spiele. Auch ein vielfarbiges Leuchten in unerwarteten Kombinationen und Verläufen stellt sich ein. Seine Werke berichten aus einer eigensinnigen Welt, die das Gegenteil von Depressivität ausdrücken möchte. Vielmehr flackert Freude auf. Dieter Balzers Kunst setzt in der Summe ein positives Signal, das der verzweifelten Welt gut tun kann.
Nicholas Bodde hat sich in der Kunst einen Namen als Streifenbildmaler gemacht. Er und Dieter Balzer sind Brüder im Geiste. Legt man beider Katalogbücher übereinander, macht man Schnittmengen aus: die intensive Farbigkeit, das konstruktivistische Vorgehen, die Abstraktion. Einerseits sind sich die Künstler ähnlich, da beide ziemlich viele Farben kombinieren und in ungegenständlichen Formaten aneinanderreihen. Andererseits sind sie doch ganz anders. Bodde nennt sich selbst einen Farbmaler. Wenn er von seinen fertigen Werken spricht, kommt die Rede auch auf Klang, auf Musik, sogar auf so spezielle Stile wie etwa den Free Jazz. In seinen Bildern sieht der Maler demnach auch Partituren.
Das Diktat der Geometrie kommt bei ihm nicht so kühl herüber, denn unter der Struktur haben sich die Emotionen verborgen. „Hinter den Streifen brodelt ein Vulkan“ – so sein Bekenntnis. Hunderte Pinsel, Klebeband, Gummiwalzen und verschiedenste Rakel gehören zum Handwerkszeug, mit dem Bodde Ölfarbe, Acrylfarbe, aber auch Autolacke auf den spiegelglatten Bildgrund bringt. In dieser Kombination der Farbmittel ergibt sich eine mitunter strukturierte Abweichung vom perfekten Glanz. Alu Dibond heißt das feine, nur ein paar Millimeter dünne Trägermaterial, das dank eines Abstandshalters zur Wand ein Schattenspiel provoziert und das Bild über die Wandhaftung erhebt.
Als jungen Künstler haben ihn Willem de Kooning und andere Vertreter des Action Paintings besonders inspiriert. Seit 1994 malt Bodde Streifenbilder, und es wird ihm bis heute nicht langweilig. Malerei ist für ihn Ausdruck von Sinnlichkeit, zu deren umfänglicher Wahrnehmung braucht es außer Stäbchen und Zapfen auf der Netzhaut vor allem Gefühl. Bei seiner ungeplanten Malerei ist ihm, den bei der Arbeit mehr der Bauch als der Kopf führt, das “interacting of colour“ wichtig. Spontaneität und Tempo laufen freilich nicht immer parallel. Manchmal fängt Bodde an und will ein ganz dunkles Bild malen. Am Ende kommt aber ein helles Bild dabei heraus. Langsam klebt er Streifen um Streifen ab, um Farblinien sauber zu ziehen. Nach maximal drei Streifen muss er das Bild dann für 24 Stunden zum Trocknen weglegen. Vielleicht ist es die Balance zwischen Kalkül und Emotion, die die an sich hermetischen Bilder öffnet. Die Freude des Künstlers äußert sich darin, Farben so zusammenzubringen, wie man sie noch nie gesehen und wahrgenommen hat. Rund, eckig oder oval sind die Streifen eingefasst. Ihre Begrenzungen wirken wie Rahmen für ein geheimes Spiel. Manchmal sind die Farbstreifenbilder vertikal angelegt, einige ganz schmal und hoch. “Slim vertical“ heißen diese Stäbe, die in leuchtenden Farben gen Himmel streben. Es könnten Landmarken sein, mit denen der Mensch sich zwischen Himmel und Erde verortet. Während die Ovale und Kreise mit ihren farbigen Horizonten wie Fenster zur Welt wirken, bieten die Rechtecke eher Spiele, Konfigurationen und Fluchten von Perspektiven an. Die Linie agiert dabei als Regisseur, die Farbe als Autor. In Boddes Leben ereignete sich eine erschütternde Vergegenwärtigung, als er zufällig ein Werk wiedersah, das er vor mehr als 30 Jahren gemalt hatte, damals noch in gestischem Überschwang mit Farbstürmen auf der Leinwand. Er erwarb sein altes Bild zum Tauschpreis eines seiner modernen Streifenbilder zurück. So haben ihn die 1980er Jahre wieder eingeholt. Wurde das Werk vom Künstlerfreund Balzer durch die Corona-Krise stimuliert und auf neue Wege gebracht, so sah sich Bodde mit der Frage konfrontiert, wie er zwei Seelen künftig akzeptieren und in sich vereinen kann. Zwei Ateliers sind die Konsequenz und zwei künstlerische Felder, auf denen er sich neuerdings bewegt.
So ungewöhnlich ist das am Ende gar nicht, denn wer lange genug auf die Farbstreifenbilder schaut, vermag ihnen ein Geheimnis zu entlocken und sie mit Fantasie zu füllen. Gut möglich, dass zwischen Hellblau, Rosa, Zartgelb und weiteren 40 Farben mehr als ein Horizont schwebt. Dass darin Stillleben, Sinfonien, Schwingungen – jedenfalls Stimmungen – abstrakt gespeichert sind. Eventuell liegt darin eine ganze Welt verborgen. Diese assoziative Bildermacht wird von Nicholas Bodde durch das virtuose Zusammenspiel der Farben intoniert.
Annette Sauermann ist weder Malerin noch Objektbauerin, obwohl sie beiden Tätigkeiten nachgeht. Zu Beginn ihrer künstlerischen Arbeit zeichnete die Lichtkünstlerin außerdem Konstruktionen aus der Hand. Ganz früher malte sie auch. Um ihre Arbeiten zu beschreiben, braucht es ein neues Vokabular: Licht-und-Schattenbilder sind darunter, große und kleine Wandreliefs. Außerdem baut sie Lichtskulpturen, Lichträume, Lichtspeicher und Lichttrommeln. Über mehr als drei Jahrzehnte hat sich die Künstlerin als selbsterklärte Fängerin des Lichts hervorgetan. Fallen-Aufstellerin könnte man sie auch nennen, denn ihr gelingt es, das leichte Licht über sehr schweres Material in Fallen zu locken und dorthin zu leiten, wo es eine “Show“ entfalten kann – bei Tag und auch bei Nacht.
Dem Licht kann man nicht entrinnen, sagt Sauermann frohlockend. Denn Licht ist alles für sie – Ausgangsmaterial, Handlungsimpuls und Treibstoff. In unglaublichen Kraftakten schichtet die Künstlerin Betonplatten zu Türmen übereinander und zieht dazwischen delikate Brücken aus Lagen feinsten Papiers ein. Früher verwendete sie Transparentpapier, heute sind es Lichtfilterfolien, die ähnlich aussehen, aber beständiger sind.
Ihr Untersuchungsgegenstand erscheint nur vordergründig sichtbar, es ist die Wirk- und Brechkraft von Licht, auch seine leuchtende Farbigkeit. Auf einer weiteren Ebene versetzt sie ihre Arbeit mit unkonkreter Poesie – wie bei der neuen Werkgruppe der Lichttransformatoren besonders gut zu sehen. Fluoreszierend sind diese Scheiben, zwischen denen sich ein überirdisch schönes Schimmern entfaltet. Je nach Tageszeit und Lichteinfall zieht sehr verhalten eine eigene Art von Regenbogen auf.
Wie hell ist Dunkel, und wann wandelt sich das Dunkle ins Helle? Wie steigert sich Licht, und wie summiert es sich in seinen natürlichen Farben? Welche Rolle spielt der Schatten, welche die Transparenz? Sauermann ist eine Forscherin, die unermüdlich Experimente durchführt. Bei aller systematischen Auslotung der Phänomenologie des Lichts will sie Grenzen nicht akzeptieren, vielmehr unerschrocken darüber hinaus gehen. Das beginnt bei der körperlichen Kraft, die sie etwa beim Beton-Verbauen aufbringen muss, und zieht sich durch den gesamten Arbeitsprozess. Gedankenschwer sind die Arbeiten zudem, was man ihnen glücklicherweise nicht ansieht.
Wenn die Künstlerkollegen Farbfolien, Farben, Lacke, Aluminium und Faserplatten einsetzen, benutzt die Lichtkünstlerin Beton, dichroitische Gläser, Paus- und Schmirgelpapier, Markierungsstreifen sowie eingefärbtes satiniertes Plexiglas, das aufwendig vorgefertigt wird. Beim Verbauen dieses Glases tritt die gesetzte zur natürlichen Farbe hinzu. Regie führt weiter das Licht – absolutistisch. Bei einer anderen Arbeit durchziehen fluoreszierende Plexiglasplatten die mit Schwarzlichtsystemen ausgestattete Konstruktion aus Beton. Solche Platten werden zu Membranen, die immer weiterleuchten, irgendwann den Einbruch der Dunkelheit überschreitend. Für die Wand baut Sauermann kleinere Arbeiten, die sie „Archi-Skulpturen“ nennt. Eine Art Relief sind diese beleuchteten Experimentierkästen, an denen vorgeführt wird, wie Licht und Schatten sich im Stein verhalten. Für die Künstlerin bedeutet dies eine Klärung von Spannung, wenn sie erdenschwere Statik mit feinstofflichen Farb- und Lichtphänomenen vermählt. Wie bei Balzer und Bodde bahnt sich auf Sauermanns künstlerischem Weg eine Art von Reminiszenz an, eine Besinnung oder Rückkehr. Zu Beginn ihrer Karriere waren leichte, strenge Papierabformungen ihr Markenzeichen. Die ersten Lichtfallen lebten von aus Papier geformten haushohen Lichttüten. Sauermann strebt heute wieder Erleichterung an. Sie wird den Beton vielleicht aufgeben und Material verwenden, das nicht so viel wiegt. Jeder Tag schenkt den Menschen Licht. So wird sie das Licht weiter transformieren und als Kern ihres Werkes bewahren. Licht ist Annette Sauermanns liebste Farbe.
Annette Bosetti
Kulturjournalistin
Annette Bosetti
Kuratorin
Die Eröffnung fand in Anwesenheit der Künstler statt.
Zur Ausstellung ist eine Begleitpublikation erschienen.