Malerei – Objekt – Skulptur
Die künstlerischen Gattungen, die der Titel dieses Ausstellungsprojekts mit den Namen von Eberhard Ross, Dirk Salz und Joseph Stephan Wurmer verknüpft, sind: Malerei, Objekt und Skulptur. Versucht man, einen roten Faden zu knüpfen, über den die recht unterschiedlichen Werkauffassungen der drei Protagonisten miteinander verbunden sind, so bietet es sich an, die Arbeiten auf ihren jeweiligen Bezug zum Raum hin zu betrachten. Tatsächlich lassen sich den Werkgruppen der drei Künstler unterschiedliche Auffassungen von Räumlichkeit zuordnen.
Eberhard Ross vertritt den Part der Malerei. In der Moderne, die sich von dem zentralperspektivischen Raumillusionismus der neuzeitlichen Bildtheorie emanzipierte, ist Malerei wesentlich flächig konzipiert. In einem berühmten Aperçu spricht der Maler Maurice Denis Ende des 19. Jahrhunderts davon, dass ein Bild, bevor es diesen oder jenen Gegenstand darstelle, „eine ebene, in einer bestimmten Ordnung mit Farben bedeckte Fläche“ sei. Und für den Kunstkritiker Clement Greenberg, eine zentrale Figur der Nachkriegsavantgarde in den USA, ist Flächigkeit (flatness) erst recht die medienspezifisch entscheidende Eigenschaft gemalter Bilder, denn „nur die Flächigkeit ist ausschließlich der Malerei eigen.“ Die Gemälde von Eberhard Ross entsprechen auf den ersten Blick genau dem modern(istisch)en Bildverständnis. Ihre Farbigkeit, so scheint es, breitet sich allein in der Fläche aus. In aller Regel ist dabei die Mitte die hellste Region des Bildes, an den Bildrändern hingegen finden sich die dunkelsten Zonen. Somit ist in diesen Arbeiten so etwas wie eine interne Rahmung am Werk, die eine Zentrierung der Bildanlage und damit die Fokussierung des Blicks auf die Mitte bewirken. Das hat zur Folge, dass man als Betrachter unweigerlich face-to-face, in frontaler Gegenüberstellung zur Bildfläche positioniert wird.
Dabei kommt es darauf an, den „richtigen“ Betrachtungsabstand zur Bildebene zu finden. Schaut man sich die Bilder aus der Nahsicht an, bemerkt man eine unendliche Fülle linearer Strukturen, die Ross mit einem Stichel in konzentrierter Feinarbeit in die noch feuchte letzte Schicht der Ölfarbe ritzte. Diese fein ziselierten, quasi-skripturalen Linien – manchmal sind sie tatsächlich lesbar, so etwa in dem kleinformatigen „painting is no problem“ – sind aus einigem Abstand nicht mehr als solche erkennbar und verschmelzen optisch zu einem Vibrieren oder Flimmern der Bildoberfläche, zumal diese Liniengespinste immer eine hellere Farbschicht frei-legen. So zeigt sich in der Summe ein aus der Mitte hervorleuchtendes, irisierendes Bildlicht, das seine volle Wirkung erst bei längerer, konzentrierter Betrachtung entfaltet. Darin liegt überhaupt ein entscheidender Unterschied zu der flächenbetonten modernistischen Idee von Malerei. Für Clement Greenberg lag das Betrachtungsideal in einer blitzschnellen Erfassung der wesentlichen Eigenschaften der Bildgestalt. Mit einer solchen Einstellung käme man bei Ross’ Gemälden nicht weit, denn sie setzen auf die langsame, konzentrierte, kontemplative Erschließung des Bildes. Wenn man sich die Zeit lässt, sich ganz auf die Begegnung mit ihnen einzulassen, macht man die Erfahrung, dass sich im Prozess der Betrachtung ganz unerwartete Phänomene zeigen. So bemerkt man etwa, dass die doch flächig verfasste Malerei eine lebendige, in sich ambivalente Art von Bildräumlichkeit hervorbringt. Im Vibrieren der Farbe scheint sich der Bildraum zum einen in die Bildtiefe hinein zu erweitern, zum anderen kann er aufgrund des expansiv hervorleuchtenden Bildlichts ebenso als dem betrachtenden Auge entgegenkommend erfahren werden. Das heißt, es oszillieren zwei virtuelle Raumerfahrungen, ein sich konkav nach innen öffnender und ein konvex nach außen vorstülpender virtueller Raum. Eberhard Ross bezeichnet diese paradoxale Simultanerfahrung gerne mit dem poetischen Begriffspaar „quellende Senke, sinkende Quelle“.
Die Räumlichkeit, die sich in Ross’ Bildern dem ruhig betrachtenden Blick zeigt, ist also eine ganz und gar aus Farbe und Licht gebildete Phänomenalität, die das flächige Gebilde des bemalten Leinwandrechtecks transformiert. Das Eigenlicht des Bildes erscheint wie in einem energetischen Speicher aufbewahrt, aus dem es unablässig hervorstrahlt. Das macht den Reihentitel „speicher“ ebenso verständlich wie den der „fermata“. Eine Fermate meint in der Musik das Verweilen auf einem Ton bezeichnet. Die Analogie zu der Seherfahrung angesichts des Gemälde ist evident: In der konzentrierten Betrachtung wird man gewissermaßen eingenommen von dem angehaltenen Farb-Licht-Ton, der aus dem Gemälde herausstrahlt.
Die Gattungsbezeichnung „Objekt“, die den Arbeiten von Dirk Salz zugeordnet ist, muss sogleich präzisiert werden, handelt es sich doch auch hier durchaus um Malerei. Anders als die Gemälde von Eberhard Ross sind sie einem Paradigma von Malerei verpflichtet, das sich letztlich auf den Minimalismus zurückführen lässt. Danach ist jedes Gemälde, wie flach der Bildträger auch immer sein mag, letztlich ein materielles Objekt, das Raum einnimmt. Salz schafft also Bild-Objekte oder Malerei-Objekte. Der Unterschied wird an einem Detail unmittelbar augenfällig. Bei den Arbeiten von Eberhard Ross bringt es keinerlei Mehrwert für die Rezeption, wenn man auf die Seitenkanten der schmalen Keilrahmen achtet. Bei den Bildobjekten von Dirk Salz ist das jedoch völlig anders. Die auf den breiten Holzleisten parallel zur Wand hin verlaufenden Rinnspuren der transparenten, teilweise mit farbigen Pigmenten angereicherten Kunstharzlacke machen unmittelbar den Arbeitsprozess des „Farb“-Auftrags deutlich. Die raumgreifenden, da bis zu 12 Zentimeter breiten, von der Wand in den Realraum ragenden Bildkörper sind nicht in klassischer Manier bemalt, denn die Farbe wurde in mehreren Schichten auf die horizontal ausgebreiteten Bildträger gegossen. Schaut man sich die Arbeiten genauer an, wird auch deutlich, dass die Farbe nicht an der Oberfläche sitzt. Vielmehr kommt sie aus dahinter liegenden Schichten; der Bildraum ist nicht nur ein virtueller Farbraum, sondern zugleich faktisch ein zwar nicht sehr tiefer, aber doch realer Raum innerhalb des transparenten Materials.
Doch damit ist der Raumbezug von Salz’ Arbeiten noch keineswegs vollständig beschrieben. Ihre glatten Oberflächen reflektieren zudem Teile des Raumes, in dem sie sich jeweils befinden. Auf hellen Arbeiten sind besonders dunkle Teile der Umgebung sichtbar, umgekehrt sind auf dunklen Bild-Objekten vorwiegend helle Reflexionen zu sehen – vor allem Fenster, Lampen usw. Das schafft nicht nur auf fotografischen Reproduktionen der Objekte Verwirrung beim Betrachter, auch im realen Erlebnis vor Ort kann es eine ganze Weile dauern, bis man herausgefunden hat, dass zum Beispiel eine weiße Linie am oberen Rand einer Arbeit gar nicht „gemalt“, sondern bloß die Widerspiegelung des Außenlichts ist, oder dass ein Bildstreifen, der sich perfekt in die Komposition aus vertikal und horizontal begrenzten Flächen einzufügen scheint, sich letztlich als das Spiegelbild eines Türrahmens erweist. Diese Unsicherheiten sind ein wesentlicher Teil des künstlerischen Konzepts von Dirk Salz. So klar kalkuliert die Bildanlage der verschiedenen Farbflächen auch ist, so verwirrend kann ihre Präsenz im realen Ausstellungsraum mit seinen spezifischen Bedingungen der Ausstattung und der Lichtsituation tatsächlich sein. Die Aussage des Künstlers, seine Werke bestünden immer „aus Komposition und Irritation“, bringt diese Doppelung auf den Punkt. Dies hat eine rezeptionsästhetische Besonderheit zur Folge: Während die Gemälde von Eberhard Ross von ihrer Bildanlage her, wie erwähnt, auf die frontale Positionierung des Betrachters hin konzipiert sind, setzt Salz seine Bildbetrachter in Bewegung, denn nur aus verschiedenen Betrachtungswinkeln und Abständen gelingt es nämlich, sich ein einigermaßen vollständiges Bild von den Malerei-Objekten zu machen – das freilich von keinem visuellen Eindruck her umfassend eingelöst werden kann.
Damit stellt sich zugleich eine grundlegende Frage nach den Grenzen des Kunstwerks. Wenn die Spiegelung auf der Oberfläche eine notwendige Folge der materiellen Beschaffenheit des Bildobjekts ist, gehört die Täuschung oder Irritation der Betrachtung mithin zur Werkintention dazu. Das bedeutet, zum Werk gehört nicht nur seine aktuelle materielle Beschaffenheit, sondern zugleich auch die potenziellen Widerspiegelungen von Teilen des jeweiligen Ausstellungsraumes. Der Objektcharakter der Arbeiten von Dirk Salz kommt in seinen runden Objekten besonders gut zur Geltung – und wird noch verstärkt, wo die Oberfläche, wie in „#2587“, abgeschliffen ist, sodass sie nicht mehr spiegelt. Mit seinem hellen Zentrum und dem dunkleren Rand kommt diese Arbeit der Bildauffassung von Eberhard Ross überraschend nahe. Umgekehrt nähert sich dessen Gemälde „mandorla“ mit seiner langgestreckten, annähernd mandelförmigen Gestalt einem Bildobjekt an. An diesen Werken wird deutlich, dass die Malereikonzepte der beiden Künstler einander geradezu komplementär ergänzen.
Als Bildhauer arbeitet Joseph Stephan Wurmer mit einem anderen Raumbegriff als seine beiden Kollegen, mit dem nämlich, was Donald Judd treffend als „actual space“ bezeichnete. Der Werkstoff, mit dem Wurmer sich seit vielen Jahren ausschließlich beschäftigt, ist Holz, eines der ältesten Bildhauermaterialien überhaupt. Typisch für seine Arbeit ist es, dass die Skulpturen als dreidimensionale Körper nicht nur (gattungstypisch) Raum einnehmen, sondern zudem – und vor allem – auch den Raum innerhalb der Skulpturenkörper thematisieren. Raum fließt durch Öffnungen, Spalten und Ritzen in die Skulpturen hinein und durch sie hindurch. Als Betrachter ist man somit dazu angehalten, nahe an sie heranzutreten und durch diese Öffnungen hindurch Einblick in ihr Innenleben zu nehmen. Der zylindrische Körper von „Lichter Raum LXXX“ etwa ist im Inneren röhrenartig ausgehöhlt. Unzählige schräg gesetzte Einschnitte perforieren seine Außenhülle und geben Einblick in das Innere der Arbeit. Die gesamte Oberfläche der kugelförmigen Arbeit „Lichter Raum LXXVI“ ist durch zahlreiche winkelförmige Öffnungen strukturiert. Im Nahblick ins Skulptureninnere enthüllt sich ein komplexer, von Graten und Kanten durchzogener, von Licht und Schatten strukturierter Innenraum. Der Gesamteindruck der Skulpturen ergibt sich aus dem Zusammenspiel von oder, eher noch: dem Spannungsverhältnis zwischen Außen und Innen, wobei letzteres dem Künstler im Lauf der Jahre zunehmend wichtig geworden ist. Der Innenraum der Skulpturen ist das zentrale Thema seiner Arbeiten.
Zum besseren Verständnis dieses Werkkonzepts ist es hilfreich zu wissen, dass Joseph Stephan Wurmer ein vitales Interesse an der Archäologie hat, die seine bildhauerische Arbeit schon immer wesentlich mitbestimmt hat. Nicht zufällig heißt eine seiner Werkserien „Aus meinem archäologischen Tagebuch“. Die Idee, sich wie ein Archäologe in die Tiefenschichten des Holzes hineinzugraben – was er vornehmlich mit Ketten- und Handsägen unterschiedlicher Größe tut – ist ein zentrales Motiv seiner Arbeit. Tatsächlich ist Holz dafür der ideale Werkstoff, denn das sich Hineinarbeiten in das organische Material, in dessen Jahresringen sich schichtweise Spuren des Wachstumsprozesses, mithin eine Geschichte dokumentiert, ist buchstäblich auch ein sich Vortasten in verschiedene Zeitebenen. Diese dokumentieren sich etwa in der unter¬schiedlichen Stärke der Jahresringe, in Farbunterschieden, Einschlüssen, Flecken und Rissen im Holz. In einem Baumstamm zeigen sich somit über Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte hin angelagerte Lebensspuren. Es ist nur konsequent, dass Wurmer seine Skulpturen (mit ganz wenigen Ausnahmen) stets je aus einem Block herausarbeitet, denn nur diese auf die unsichtbare Ganzheit des Baumstamms verweisende Einheit bewahrt authentisch das Gewordensein des Holzes mit all seinen spezifischen Eigenschaften. Beim Zusammensetzen und Anstücken unterschiedlicher Holzstücke würde diese Einheit unvermeidlich verloren gehen.
Eine weitere Skulpturenreihe trägt den Titel „Ordnung und Chaos“ – und dieser Titel benennt wie eine Gesamtüberschrift zugleich ein Grundanliegen des Bildhauers Joseph Stephan Wurmer. Bei den meisten seiner Arbeiten kann man unschwer den Kontrast zwischen konstruktiven, geometrisch geformten Partien einerseits (bei denen jedoch die Geometrie als solche – Zahlenverhältnisse, Proportionen usw. – keine Rolle spielt) und irregulären oder „chaotischen“ Teilen erkennen. Statt Ordnung und Chaos könnte man auch „Konstruktion und Zufall“ sagen: Die konstruierte quadratische Fläche im Zentrum von „Aus meinem archäologischen Tage¬buch XXXV“, auf der sich die Maserung des Pappelholzes deutlich abzeichnet, ist in der Mitte geradezu aufgerissen. Es zeigen sich ausgefranste Öffnungen, die von der Motorsäge zufällig, das heißt ohne Kontrolle des formenden Willens erzeugt wurden. Konstruktion und Zufall, Ordnung und Unordnung, Chaos und Kosmos – das sind, wie der bedeutende Strukturalist Lévi-Strauss einst sagte, die Grundgegensätze, aus denen sämtliche Mythen „wuchern“ – und unser gesamtes Verständnis von Welt. In diesem Ur-Gegensatz zeigt sich die Welthaltigkeit der Kunst von Joseph Stephan Wurmer.
Dr. Peter Lodermeyer
Kunsthistoriker
Dr. Peter Lodermeyer
Kurator
Die Eröffnung fand in Anwesenheit der Künstler statt.
Zur Ausstellung ist eine Begleitpublikation erschienen.